Mit Improtheater unterrichten von Khalila Grundl

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Ein Praktikum an der Gaia Waldorfschule in Kapstadt, Südafrika

Studierende der Waldorfpädagogik müssen im Lauf ihrer Ausbildung insgesamt 24 Wochen Praktika machen. Die Studentin Khalila Grundl vom Waldorfseminar Berlin hat sich für eines davon die Gaia-Waldorfschule in Südafrika ausgesucht, wo sie einen Monat lang innovative Unterrichtsformen kennengelernt hat und Impulse für ihre geplante Masterarbeit über den Anteil muslimischer Familien in Waldorfschulen mitnehmen konnte.

Der Artikel erschien in der April Ausgabe der Zeitschrift Erziehungskunst.
Wir veröffentlichen hier den vollständigen, ungekürzten Bericht.

Die Idee, nach einer Waldorfschule in Kapstadt zu suchen, die mich eventuell für ein vierwöchiges Praktikum aufnehmen würde, ergab sich aus der Überschneidung des vom Lehrerseminar vorgesehenen Praktikumszeitraumes mit einem jährlichen Treffen dort, an dem ich seit vielen Jahren nach Möglichkeit teilnehme. Von den acht Waldorfschulen in Kapstadt und Umgebung kontaktierte ich drei und bekam recht bald positive Rückmeldung von der Gaia Waldorfschule im Vorort Pinelands: ich sei herzlich willkommen in einer fünften Klasse dort, die sich schon lange eine Praktikantin wünscht. Das Lehrerseminar ermutigte mich in meinem Vorhaben, weitere Details besprach mein Mentor mit mir und der Klassenlehrerin in Kapstadt über zoom. Somit fühlte ich mich bereit, Anfang Oktober in den dortigen Frühling zu reisen.
Nach zehn unsäglichen Stunden, die ich seit Istanbul zwischen zwei umfangreichen Herren in der Mitte des Flugzeuges verbracht hatte, sagte ich mir, dies sei mein letzter Langstreckenflug gewesen. Sobald ich aber die Landetreppe hinunterstieg und mich einmal mehr von der Luft und den Farben umgeben fand, die mir jedes Mal auf unbestimmte Weise das Gefühl geben, wie aus einem Film hinüber in die Realität getreten zu sein, war mir wieder klar, weshalb ich geflogen war. Meine Verbundenheit mit diesem Ort kann vermutlich nahezu jede Person nachvollziehen, die selbst einmal dort war – denn Kapstadt besitzt eine besondere Art von Nahrung für das Herz, möchte ich sagen. Das unmittelbare Nebeneinander der sprudelnden Großstadt und der Gebirge, die hunderte von Jahrmillionen alt sind, deutet in jedem Moment hin auf das Verhältnis des eigenen Alltags zu dem, was davor war und danach kommt. Gesäumt vom Atlantik, dessen Glitzern das Auge unbedingt zum Stillhalten verführt, verspürt man in Kapstadt eine gewisse, wilde Geborgenheit. Und sowohl die Betrachtung seiner Geschichte als auch die lokalen Begegnungen in der Gegenwart verlangen eine Wendigkeit der eigenen Sichtweise, die, wenn sie sich ermöglicht, ungemein belebt und bereichert.

Die Gaia-Waldorfschule befindet sich ca. zehn Kilometer vom Stadtzentrum entfernt in einem Eco-Village namens “Oude Molen” (“Alte Mühle”). Diese dynamische, vielfältige Siedlung war einstmals eine verlassene Krankenhausanlage und besteht heute aus ganzheitlich und umweltbewusst ausgerichteten Kleinstunternehmen, Nichtregierungsorganisationen und dienstleistungsorientierten Sozialunternehmen. Für die umliegenden Gemeinschaften stellt sie eine Quelle an Arbeitsplätzen, Nahrungsmitteln und Bildungsmöglichkeiten dar. Hocherfreut entdeckte ich dort nur zwei Gehminuten von der Schule entfernt auch einen Regio-Laden, der (vegane) Schokoladen-Kreationen und Kaffee von exquisiter Qualität führt. Diese kann man im Garten des Ladens auf Hollywoodschaukeln und Hängestühlen genießen, in Gesellschaft von umher stolzierenden Hühnerfamilien und Pfauen – ein wunderbarer Pausenort für das Kollegium.Seit dem Jahr 2000 ist die Schule untergebracht im denkmalgeschützten Anbau eines ehemaligen Gehöfts aus dem 17.Jahrhundert, welches entsprechend restaurierungsbedürftig war. Die Spielflächen und Klassenräume entstanden dort, wie so oft im Waldorfkontext, aus dem Pioniergeist und vollen Einsatz von Eltern und Kollegium.

Ursprünge

Mit den neunziger Jahren war das Vertrauen der Eltern in das staatliche Schulsystem Südafrikas angesichts der offenkundigen Bildungskrise immer mehr geschwunden, und ein verstärktes Interesse an alternativen Bildungseinrichtungen hatte sich entwickelt. Eltern fanden, Schule sollte kreativer und stärker orientiert an der kindlichen Entwicklung sein; ein Ort, an dem Kinder Lernen als etwas Freudvolles erleben und die Klassen kleiner sind. Aus diesem dringenden Anliegen heraus entstand 1993 das „Centre for Creative Education“, mit dem Ziel, Kinder, die unter erschwerten Bedingungen und in wirtschaftlich und sozial benachteiligten Gemeinschaften aufwachsen, in ihrem Heilungsprozess zu unterstützen, zu fördern und zu befähigen.
Auch die Gaia Waldorfschule hat in dieser Institution ihren Ursprung: der Gründungsimpuls 1998 bestand vor allem darin, die Waldorfpädagogik nicht nur den privilegierten, sondern allen Kindern zugänglich zu machen, unabhängig von ihrem sozio-ökonomischen Hintergrund. So zeichnet sich die Schülerschaft der Gaia Waldorfschule durch merklich größere Diversität aus, und wurde bei einer Lehrerkonferenz 2019 als vielfältigste Waldorfschule Südafrikas gefeiert.

Jeder Montag beginnt mit einer Versammlung aller Klassen (derzeit insgesamt 142 Kinder) und einem anschließenden Spaziergang in der unmittelbaren Umgebung, wo es einiges an Flora und Fauna zu entdecken gibt. Auch eine Pferdeherde befindet sich in direkter Nachbarschaft der Schule und trägt bisweilen durch ihre ungestümen Elemente zur allgemeinen Unterhaltung bei. Der Stundenplan beinhaltet nach dem Epochenunterricht Fächer wie Trommeln und Lebenskunde, und an Sprachen werden neben Afrikaans auch isiZulu und isiXosha unterrichtet. Einmal fand während meiner Praktikumszeit ein „language sharing day“ statt, zu dem sich die fünften Klassen aller Waldorfschulen in und um Kapstadt auf dem großzügig angelegten Gelände der Constantia Waldorfschool, der ersten Waldorfschule Afrikas, versammelten. Dort konnten sich die Klassen zunächst im Rahmen einiger Gruppenspiele im Freien miteinander bekannt machen, um anschließend Einblicke in ihren jeweiligen Sprachenunterricht in Form von Darbietungen auf der Bühne mit allen zu teilen.

Mit performativen Methoden im Allgemeinen war „meine“ fünfte Klasse auch außerhalb des Sprachenunterrichtes bereits vertraut, da die Klassenlehrerin ein Fan des Improvisationstheaters ist und schon früh damit begonnen hat, vorangegangene Unterrichtsinhalte in Form von Mini-Darbietungen „abzufragen“. Hierzu teilen sich die Kinder in Kleingruppen auf und schmieden innerhalb von fünf bis zehn Minuten eine kurze Szene aus den Inhalten, an die sie sich erinnern, meist mit erstaunlichem Ergebnis. Eine weitere Art, den Stoff vom Vortag oder auch der gesamten Epoche in Erinnerung zu rufen, erlebte ich als besonders eindrucksvoll: alle bekommen die „Hausaufgabe“, sich für den nächsten Tag eine Frage zum Epochenthema zu überlegen, die noch offen geblieben ist oder die jemand, der nicht mit im Unterricht war, möglicherweise stellen würde. Wer dann am nächsten Morgen seine Frage stellt, ruft unter den sich meldenden jemanden auf – die Lehrerin involviert sich nicht. Das so entstehende Gespräch innerhalb der Klasse nahm in unserem Fall („Wozu haben wir Matheunterricht?“) eine bemerkenswerte Tiefe an, so dass die Lehrerin dabei Notizen machte, die dem abschließenden Epochenheft-Eintrag als Grundlage dienten.

 

Afrika-Epoche: die Königreiche Westafrikas

Nachdem ich die Klasse eine Woche lang beobachtend begleitet hatte, war ich nun an der Reihe, erstmals eine Epoche selbst zu unterrichten. Auf dem Plan stand „Ancient African History“, und so hatte ich als Beispiel die Geschichte der Königreiche Westafrikas, Ghana – Mali – Songhay recherchiert. Die geographische Entwicklung, der Transsaharahandel mit Gold, Salz und Büchern, die Gelehrtenstadt Timbuktu mit ihren Lehmbauten, ihr Förderer Mansa Musa, und das „singende Geschichts-Gedächtnis“ in Form der Griots bzw. Djeli, wurden die zentralen Themen. Für den Einstieg hatte sich das wunderschöne Gedicht „The Lure of the Desert Land“, von Madge Morris Wagner gefunden.

Klassenfahrt

Zum Ende meines Praktikums fand für diese fünfte Klasse eine Klassenfahrt statt, coronabedingt ihre allererste. Wir fuhren für drei Tage in die Tagungs-/Begegnungsstätte „High Africa“ im ca.120km entfernten Worcester, wo die Klasse ein fabelhaftes Programm an erlebnispädagogischen Aktivitäten erwartete. Bereits die Hinfahrt im Minibus war ein vergnügliches Erlebnis, umgeben von spektakulären Gebirgslandschaften, die die Kinder zum Staunen brachten. Bei der Fahrt durch einen der Vororte Kapstadts allerdings tauschte die Klassenlehrerin vielsagende Blicke mit mir, als wir am Pausenhof einer staatlichen Schule vorbeifuhren, wo sich uniformierte Kinder gegen einen meterhohen Drahtzaun drückten, und unsere Fünftklässler ehrlich bestürzt riefen: „Ein Gefängnis! Da ist ja ein Gefängnis mit Kindern!“

Abkühlung im Breede-River

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Frühlingsbasar und Abreise

Am Tag meiner Abreise im November fand der Frühlingsbasar der Gaia Waldorfschule statt, unter dem diesjährigen Motto „proudly South African“. Und so malte ich beim Kinderschminken neben Einhörnern und Flamingos viele Male die Südafrikanische Flagge als meist gewünschtes Motiv auf die Wangen sämtlicher Kinder. Jede Mittelstufenklasse zeigte eine Darbietung, die Fünfte hatte einige Stücke auf der Djembe eingeübt. Abschließend ergab sich hier noch eine Gelegenheit für mich, mit einigen der Eltern ins Gespräch zu kommen und interessante Impulse für meine anstehende Masterarbeit mitzunehmen. Denn fast die Hälfte der von mir besuchten Klasse besteht aus Muslimischen Schüler/-innen, was die Zusammensetzung der regionalen Gesamtbevölkerung weitaus besser repräsentiert, als dies an Waldorfschulen im deutschsprachigen Raum bislang der Fall ist. In meiner anstehenden Masterarbeit möchte ich auf mögliche Gründe für letzteres eingehen und auch Aspekte der bemerkenswerten Passung herausarbeiten, die sich zwischen waldorfpädagogischem Ansatz und islamischer Lebenspraxis vielfach abzeichnet und unter anderem von den muslimischen Eltern der Gaia Waldorfschule entsprechend geschätzt wird.
Für meine erste, umfassendere Unterrichtserfahrung hatte ich hier das optimale Setting erwischt: die Klassenstärke von sechzehn Kindern empfand ich als genau richtig, zumal mindestens sechs davon besonderen Förderbedarf hatten. Meiner anfänglichen Nervosität und Sorge darüber, was ich alles verkehrt machen würde, wirkte die wohlwollende, entspannt-respektvolle Art des Umgangs miteinander entgegen, wie sie hier gewissermaßen als Kulturgut gepflegt wird.

 

Nach einem zutiefst erfüllenden, bereichernden und sehr beglückenden Monat, in dem ich soviel Pawpaw und Avocado

wie möglich gefrühstückt und so viele Muscheln wie möglich am Meer gesammelt hatte, fasste ich mir ein Herz und machte mich bereit für den Abschied – von Kapstadt, von der Natur und von den Menschen dort – und auch von der Klasse und dem Kollegium. Wir hatten uns ja gerade erst eingespielt, und die Dynamik war vielversprechend gewesen… das ist sie

allerdings auch am Lehrerseminar in Berlin! Die Vorfreude darauf und der ausklingende Rausch des Frühlingsbasars begleiteten mich auf die Rückreise.

https://www.gaiawaldorf.co.za

https://centreforcreativeeducation.org.za

https://highafrica.com