Künstlerische Arbeit

Peter Lutzker schrieb in „The Art of Foreign Language Teaching“ zu den Künsten folgendes:

„Considering teaching as an art implies not only a different understanding, but requires adopting a different framework of knowlege as well. In the arts there are clearly ways of knowing that cannot be represented within the measurable, objective domains of traditional science and education. The musican’s sensitivity to nuances of tone, the actor’s to voice and gesture, the clown’s to the possibilities of improvisation, all represent forms of knowledge and expression which do not lend themselves easily to rational, scientific discourse. Nor do they represent the type of knowledge which most educational research and theory has propagated as essential in teacher education, or that matter, for pupils in their schooling. At the same time they are all, incontrovertibly, examples of highly precise and expressive ways of knowing and acting.“

So ähnlich brachte Holger Kern es dann wie folgt auf den Punkt: In der künstlerischen ‚Betätigung‘, im künstlerischen ‚Üben‘ muss, genauer gesagt, kann der ‚ganze Mensch‘ mit seinen seelischen, physischen und geistigen Anlagen tätig werden. Eine wesentliche Eigenschaft der besagten künstlerischen Tätigkeit liegt darin, dass sie sich nicht in der Einmaligkeit erschöpft, sondern von der regelmäßigen, übenden Wiederholung lebt. In der Musik, dem Tanz oder Schauspiel ist dies jedem bewusst, aber auch jeder bildende Künstler übt oft sogar längere Zeit an ein und demselben Thema. Es sind dabei nicht nur die eigenen Fertigkeiten, die entwickelt werden müssen und im Üben somit eine Selbstverwandlung zu vollziehen.

Üben ist auf der einen Seite ein Erkunden desjenigen, was mit dem jeweiligen ‚Material ‘, dem materiellen oder inhaltlichen künstlerischen ‚Stoff‘ möglich und für das zukünftig Ent- und Erstehende nötig ist. Es ist zwar durchaus nicht dasselbe, um welches ‚Material‘ es sich dabei dreht, ob es das Musik-Instrument, der eigene Körper, die Sprache, das plastische Material oder die Farbe ist. Im Grunde aber ist es ein vergleichbarer Vorgang, der in jedem fachgerechten Üben stattfindet. Letztlich sind alle ‚Materialien‘ dabei Werkzeug für etwas Ideelles, das getragen von Phantasie und Liebe zum Entstehen in die Zukunft wachst und sich im spielerischen Umgang (im schillerschen Sinne) verwirklichen will.

In den Raumeskünsten, den sogenannten „bildenden Künsten“, übt man im Wesentlichen, ein vorliegendes Material umzugestalten. Alle diese Materialien haben ihre Gesetzmäßigkeiten, die dabei beachtet werden müssen und damit das eigene Handeln mitbestimmen. War dieses Material wie im Falle von Holz sogar ehemals lebendig, so hat es bisweilen sogar überraschende Eigenarten (Wuchs, Maserung, Aste, etc.), die im Prozess einen mehr oder weniger großen Einfluss auf die endgültige Gestalt des Kunstobjektes gewinnen und die eigene Idee modifizieren können.

In den Zeitkünsten (Musik, Theater/Sprache, Eurythmie/Tanz) übt man im Wesentlichen an seinen eigenen körperlichen, leiblichen Voraussetzungen und Bewegungen, damit der Körper geschult wird und dann verlässlich zur Verfügung steht, um etwas seelisch Bewegtes und seelisch Bewegendes in einem bestimmten Moment im gewünschten, notwendigen Zeitverlauf zu verwirklichen. Hier reicht das Leibliche bis hin zu den Bewegungsgewohnheiten, zu der Reihenfolge der Gedanken und sogar zu den mit dem Kunstwerk zusammenhangenden Emotionen. Hier begegnet man nun gewissermaßen den Gesetzen, die diesen menschlichen Fähigkeiten zugrunde liegen. Mit diesen geht man im Üben ständig um. Man wird sie also nicht nur schulen und qualitativ steigern, wie oben gesagt, sondern man muss sie annehmen und sich ihnen im gewissen Mas ‚andienen‘. Man muss ihnen zum gewissen Grade gehorchen, wenn adäquate, dem Ziel entsprechende Änderungen ‚am Material‘ gelingen sollen.

Die qualitativen Unterschiede der verschiedenen ‚Werkzeuge‘ und ‚Materialien‘ müssen in dem jeweiligen Prozess erspürt und wahrgenommen werden. Die wiederholentlich übende Tätigkeit lässt dann nicht nur die Fertigkeiten in der Ausführung wachsen, sondern trägt auch maßgeblich zur Vertiefung und Differenzierung der Wahrnehmungsfähigkeit bei.

Die künstlerische Tätigkeit, das künstlerische Üben muss also frei von außer ihm liegenden Zielen sein, wenn es wirklich wirksam werden soll. Hier kündigt sich eine enge Verwandtschaft des künstlerischen Übens an mit dem menschlichen, schöpferischen Ich. Wurde dieser Gedankengang hier an einem Beispiel aus der Musik verdeutlicht, so ist dieses Prinzip aber auf die anderen künstlerischen Prozesse übertragbar.

In der künstlerischen Übung trifft der schöpferische Mensch wie oben geschildert auf eine Herausforderung durch das zu bearbeitende Material. Für die Lehrkraft gibt es in der pädagogischen Situation kein ‚Material‘ sondern es sind Schüler – kreative Wesen mit eigenen Intentionen und Impulsen und ganz individuellen Möglichkeiten.

Lag schon im kreativen Kunst-Prozess, wenn er wirklich künstlerisch im Kontakt mit dem Material und dem Werdenden stattfindet, das zukünftige, genaue Ergebnis außerhalb der präzisen Vorstellungsmöglichkeit und wurde quasi spielerisch errungen, so ist in der pädagogischen Situation diese Ungewissheit bezüglich des genauen Ergebnisses durch das Individuelle des Heranwachsenden um ein Vielfaches gesteigert. Hier muss der Pädagoge, der durch diesen Entwicklungsprozess fuhren will, in engem Kontakt zu dem sich Heranentwickelnden stehen. Er muss die Beziehung zu dem jungen Mensch aufbauen und aufrechterhalten können.

Das künstlerische Üben ist nicht nur eine hervorragende Kraft zur eigenen Persönlichkeitsentwicklung, sondern auch eine die Beziehungsfähigkeit anregende und fordernde Kraft.

Kern, H. 2018: „Die Künste: Verwandlungskräfte in der Lehrerbildung. Den Erziehungskünstler wecken, Persönlichkeit entwickeln“ in Lehrerbildung für Waldorfschulen, Beltz Verlag 

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